Am letzten Dienstag war ich bei einer CDU-Veranstaltung mit Norbert Röttgen. Eine Bemerkung blieb mir besonders im Gedächtnis. Er sagte sinngemäß, daß es eine Forderung an den Staat ist, moralische Werte zu vermitteln, aber der habe doch dazu gar keine Instrumente. Moral könne man ja nicht per Gesetz erzwingen.

Hört sich logisch an! Aber ist das wirklich so eindeutig richtig?

Ich kenne etliche Menschen, denen Verhalten ich als hoch moralisch bezeichne.
Aber wie dünn dieses „Eis“ sein kann, hat man in den KZs der Nazis gesehen, wo aus normalen Bürgern nachweislich Monster wurden. Viele von Ihnen kennen sicher den Film „Die Welle“, in dem in einem Versuch ganz normale Studenten unter demagogischer Anleitung zu schlimmen Menschenquälern wurden.

Sicher haben Menschen unterschiedliche genetische Anlagen für moralisches Verhalten. Aber woher kommt es, das sich große Teile einer Gesellschaft viel moralischer verhalten als Menschen in einer anderen Gesellschaft.

Kennen Sie die als Witz gemeinte Definition: Moral ist Mangel an Gelegenheit?

Scheußlich, nicht?

Aber wie entstanden denn Gesellschaften mit hohen moralischen Werten? Friedrich der Große hat die berühmten preußischen Tugenden der Bevölkerung mit brutaler militärischer Gewalt eingebläut. Die Kirche hat das über das Druckmittel Sünde und den Drohungen Hölle, Fegefeuer und ewige Verdammnis getan. So konnte unter dem Druck von Sanktionen gesellschaftliches Zusammenleben erst ermöglicht und dann auch angenehmer gestaltet werden. Solche angeordneten Regeln entwickeln sich natürlich in der Bevölkerung weiter. Moralisches Verhalten wird größer, auch wenn nicht ständig ein Polizist hinter einem steht.

Es geht übrigens auch andersrum. Das Miteinander mit gegenseitiger Toleranz wird durch manches Gesetz bzw. Gerichtsurteil beschädigt. Jeder von uns kennt Beispiele, wo Einzelne unverständliche Dinge aufgrund der Rechtslage auch gegen viele Andere durchboxen konnten.

Der Staat hat also durchaus Möglichkeiten, moralische Werte zu beeinflussen.

Deutlich gestört wird das, wenn es Anreize für großen persönlichen Nutzen gibt und keine Sanktionen drohen. Dann werden viele zum Egoismus verführt und lassen Moral Moral sein. Dann siegt die Gier. Und schon sind wir wieder bei der Finanzkrise.

Ich glaube, wir haben hier zwei Möglichkeiten, direkt auf die Beteiligten einzuwirken. Erstens: Klare Regeln, ausreichende Überwachung und Sanktionen, wenn sie nicht eingehalten werden. Zweitens: Pranger. Damit meine ich, daß die Gierigen von der Öffentlichkeit geächtet werden müssen; ihr Handeln also angeprangert werden muß. Unser Bundespräsident hat auch hier die richtigen Worte gefunden. Sonntagsreden von einigen Politikern, die direkte Appelle an diese Menschen richten, halte ich für wenig hilfreich. Ich würde das nicht tun, weil ich mich nicht gerne von einem Egoisten auslachen lassen will.

Wilfried Uhlmann